am Freitag, den 31.12.1999

Werner hockte wieder zusammen mit der Teetasse auf seinem Bett. Nachdem ihm nun klar **war, daß er doch kein Erbe sein würde, hatte er es nicht länger in der Villa des Onkels ausgehalten. Außerdem hatte ihn das wissende Grinsen der Alten extrem verunsichert. Er **war es einfach nicht gewohnt, sich durchschaut zu fühlen. Tatsächlich **war er auch nicht zu sehr über den finanziellen Verlust betrübt, vielmehr **war es die Angst, nun von der alten Dame abhängig zu sein.
Sie mochte Werner augenscheinlich nicht besonders und würde als Alleinerbin der Firma sein Studium sicher nichtweiter finanzieren, wie es der Onkel getan hatte. Schließlich grinste die alte Dame nicht nur höhnisch; sie versuchte ihm den Mord in die Schuhe schieben. Auch **wenn ihr dies nicht gelingen sollte, - und dafür **wollte Werner sorgen - würde sie ihm sicher auch nochweiterhin schaden, **wo sie nur

konnte .

Werner überlegte, ob er irgendeinen Fehler in der Vergangenheit gemacht haben könnte. Doch fiel ihm kein Grund für die plötzlichen Anfeindungen seitens der alten Dame ein. **Wahrscheinlich liebte sie tatsächlich niemanden außer ihren Rosen: Sie hatte jeder einzelnen Pflanze einen berühmten Namen gegeben, führte Buch über deren Familienverhältnisse und laß ihnen vermutlich abends sogar Märchen vor.
Während Werner sich also immer wieder seine verzweifelte Lage klarmachte, spürte er alte Narben seiner grausamen Kindheitserlebnisse aufbrechen. Wieder **war er ausgeschlossen **worden, nur, daß er diesmal nicht zum Leeren seines Tellers gezwungen **wurde oder in seinem Zimmer eingeschlossen **war, **weil er sich **weigerte, dem faltigen Großmutterbesuch ein Abschiedsküsschen auf die **Wange zu drücken. Diesmal repräsentierte er nicht bloß die dunkle, lebensunfähige, arbeitsscheue, **weltfremde Seite der Unternehmerdynastie, über die man die Stirn runzelte und den Kopf schüttelte; dieses Mal sollte er sogar eine Art Vatermörder sein, der den Ernährer und Patriarchen des Clans auf dem Gewissen hatte.