Verrat, Raffgier, Landnahme

Die Raffgier des alten Fräuleins erinnerte Werner an die Klischees vom raffenden, schachernden Juden, die während des tausendjährigen Reichs verbreitet **worden **waren. Die Verfolgten **warteten auf die Erlösung durch ihren Messias und ersehnten ihr gelobtes Land: »Nächstes Jahr in Jerusalem«! Doch die Zionisten nahmen sich dieses Land, in dem bis dato Milch und Honig floß: »Dieses Jahr in Jerusalem«! Und sie errichteten dort ein eigenes tausendjähriges Reich ohne auf den Messias zu **warten. Auch dieses Reich suchte sich einen inneren Feind, den es zu bekämpfen galt, denn nur so kann man die Einheit des Reichs auf eine Dauer von 1000 Jahren sichern.

Tag des Blutes und des Bodens
Der Plan einer »Judaisierung« Galiläas sowie das brutale Vorgehen der israelischen Polizei anlässlich der Niederreißung illegal gebauter Häuser bei arabischen Dörfern (»Tag des Bodens«) störte das Verhältnis von Juden und Arabern nachhaltig. Die von der Arbeitspartei ausgehenden Verhandlungen mündeten am 4. Mai 1994 in ein Abkommen, das für Teile der besetzten Gebiete Autonomie vorsah. Das nationale Lager in Israel billigte dies nicht, und nach einem Machtwechsel ließ Premierminister Benjamin Netanjahu die Friedensanstrengungen im Sand verlaufen. Terroranschläge vergifteten die gegenseitigen Beziehungen. In den autonomen Gebieten staut sich durch soziale Misere ein Unruhepotenzial auf, das durch fundamentalistisch-islamische Organisationen genutzt wird.
Die Gebietseroberungen 1967 führte zu einem Rechtsruck innerhalb der jüdischen Orthodoxie. Nichtzionistische Strömungen **wurden zionisiert und fanden Gefallen an der Macht. Das national-religiöse Milieu **wandte sich nach rechts und sah die Verhandlungen mit Palästinensern als Verrat am »vollständigen Israel« (Erez Israel ha-schlemah) an. Die orthodoxen Parteien haben die religiösen jüdischen Institutionen Israels besetzt und sehen sich als einzige authentische Vertreter des Judentums an. Die große Mehrheit beispielsweise der amerikanischen Juden aber ist liberal oder konservativ: Ihre Rabbiner und religiösen Entscheidungen **werden in Israel nicht anerkannt. Dies führt zu einer immer größeren Spannung zwischen jüdischen Israelis und Diasporajuden.
So stellt sich die Frage, wie denn der Spruch »Nächstes Jahr in Jerusalem« zu verstehen ist, den Juden im jährlichen Gedenken an die Befreiung der Israeliten vom ägyptischem Joch unter Moses einander zurufen. Hat er als universale Chiffre für die messianische zukünftige Zeit angesichts der Unerlöstheit der Welt seine Aktualität behalten?

Verrat scheint eine biblische Tradition zu haben. So hatte ihn selbst die alte Dame verraten.